Cheap and Charming

Dodi Reifenberg

Ausstellungsdauer: 18.7. – 10.8. 2004

Mechthild Rausch - Zur Eröffnung der Ausstellung

Recycling Modern Art -Pressemitteilung

Fotos

Recycling Modern Art Masterpieces cheap and charming

Die Idee zu dieser Ausstellung kam mir beim Anblick der Menschenschlage, die sich seit Monaten vor der Neuen Nationalgalerie sammelt, um die Schätze des „Museum of Modern Art“ zu betrachten. Diese Menschenschlange bringt einen ins Grübeln. Was erwarten die Wartenden, denkt man sich. Wollen sie endlich die berühmten Bilder, die sie nur von Abbildungen kennen,  im Original sehen?  Kommen sie, um auf der nächsten Party mitreden zu können? Sind es Menschen,  die zu jedem „event“ gehen, Hauptsache es ist etwas los? Sind es Schulklassen, die gebildet werden sollen, umtriebige Senioren, die noch lange nicht Schluß machen, Hauptstadt-Touristen, die echte Hauptstadtkunst sehen wollen?Vermutlich sind alle Arten von Interessenten in der täglichen Schlange vertreten. Ich dachte aber nur über die erste Spezies nach, zu der auch ich gehöre – über die Leute, welche die modernen Meister von Angesicht zu Angesicht sehen wollen. Dieser Wunsch erinnert entfernt an die Hoffnung frommer Christen, am Ende ihres Lebens Gott zu schauen. Bis es soweit ist, müssen sie sich mit Abbildungen zufrieden geben. Diese Besucher, die echten Liebhaber moderner Kunst, erleben nun also, dank der Initiative von Peter Raue und der Nationalgalerie, auch in Berlin paradiesische Gefühle.   Was löst die Glücksgefühle aus? Dumme Frage, werden Sie sagen, natürlich die Originale!Viele werden die Originale noch schöner finden als die ihnen bekannten Abbildungen und glücklich sein. Vielleicht gibt es auch Betrachter, die beim Anblick mancher wahren Ikone etwas enttäuscht sind; sie hatten sie schöner erwartet. Ich persönlich finde, daß die Originale jeweils ganz genau schön und eindrucksvoll sind, wie ihre Abbildung in unserem Bewußtsein. Damit will ich die Bedeutung der Originale nicht schmälern,  sondern nur die Bedeutung der inneren Bilder unterstreichen. Weil sie mit unserem Wissen, unseren Gefühlen, unserer Erfahrung gefüllt sind, sind sie weit mehr als bloße Abbildungen. Auch sie sind Urbilder.Ich werde noch etwas tiefsinniger werden zitiere Angelus Silesius, der sinngemäß sagte,  wenn Gott sich begucken will, dann muß er mich ansehen, ohne mich hat er keinen Spiegel.  Der Satz läßt sich auch auf  Kunstwerke anwenden: Wenn sie in uns keinen inneren Spiegel finden, werden sie nicht wirklich erkannt. Dann fallen solche dummen Beurteilungen wie: Mein Kind kann das besser. Oder: das hat ein Esel mit dem Schwanz gemalt. Diese Überlegungen brachten mich auf die Idee einer Ausstellung, die den Betrachtern die Möglichkeit gibt,  ihr inneres Bild von den modernen Meistern anhand von Nachschöpfungen zu überprüfen.  Bei den Nachschöpfungen dachte ich sofort an Dodi Reifenberg. Er arbeitet seit Jahren mit Plastiktüten, bedruckten und unbedruckten, aus denen er ganz unterschiedliche Kunstwerke fabriziert. Er macht daraus Collagen, Skulpturen, Kleider und Landschaftkunst.  Dodi Reifenbergs Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt. Die Plastiktüte ist eines der prägnantesten Symbole heutiger Alltagskultur. Sie steht für  Konsumgier und Umweltverschmutzung, aber auch für vielseitige Verwendbarkeit und  kostenlosen Erwerb – sie liegt buchstäblich auf der Straße und vergrößert die Menge des Abfalls. Dodi Reifenberg führt sie einer neuen Nutzung zu; er recycelt die Plastiktüten,  indem er aus ihnen Kunstwerke macht. Er betreibt sogar ein doppeltes Recycling, indem er ein Wegwerfobjekt nicht nur einem neuen Gebrauch zuführt, sondern aus etwas Wertlosem etwas Höherwertiges macht, eben Kunst. Die Methode, aus wertlosen Materialien und Objekten Kunst zu machen, ist bekanntlich nicht neu. Sie ist fest in der Kunst des 20.Jahrhunderts verankert und ist darüberhinaus nur ein Rädchen im großen inner­künstlerischen Recyclingprozeß, der in der Abwertung alter und Aufwertung neuer Gestaltungsweisen besteht. Dodi Reifenbergs Plastiktüten-Meister reihen sich in diesen Kreislauf ein. Ihnen liegt ein Abwertungs- und ein Aufwertungsprozeß zugrunde: Die Abwertung  geschieht durch die Nachschöpfung der Meisterwerke in Plastikfolie, die Aufwertung durch die Veredelung der Plastikfolie zu einem wahren Kunststoff.   Ob Sie mit den Exponaten dieser Ausstellung etwas anfangen können, hängt sicher davon ab,ob und wie gut Sie die Originale kennen, ob Sie ein inneres Bild von ihnen besitzen.Das hohe Vergnügen, das sich beim Zusammentreffen von innerem Bild und wahrer Ikone einstellt, wird die Betrachtung dieser armen Verwandten der modernen Meister wohl nicht vermitteln, sondern nur ein niederes, aber das ist auch nicht zu verachten. Es besteht, zum Beispiel, darin, zu erraten, welches Original jeweils neu gestaltet wurde. Oder zu beurteilen, wie die Umsetzung bewerkstelligt wurde und wie gut sie gelungen ist. Oder zu vergleichen, welchen Werken die neue Gewandung besser zu Gesicht steht als das alte Outfit. Philosophisch veranlagte Betrachter gewinnen vielleicht die zen-budhistische Erkenntnis, daß sich  wahre Vollkommenheit erst in partieller Unvollkommenheit zeigt. Der Höhepunkt wäre die Feststellung, daß ein Meisterwerk erst in dieser Art der Nachschöpfung zu sich selbst gekommen ist. Von einigen Exponaten darf man das vielleicht sagen. Im Fall der von  nachgehäkelten Lichtensteins  wird mir sicher jeder zustimmen. Diese Nachschöpfungen von Nachschöpfungen sind besonders gelungen. Sie stammen übrigens von  Rose Meckmann, die auch die genähten Bilder hergestellt hat. Zum Schluß möchte ich noch erwähnen, daß die Exponate während der Ausstellung zum Einheitspreis von 150€ abgegeben werden. Der Preis ist Teil des Konzepts: Masterpieces cheap and charming. Viel Spaß beim Betrachten der Bilder. Sehen Sie hin und greifen Sie zu!                                                                                                           

Mechthild Rausch                                                           

(Zur Eröffnung der Ausstellung in der „Galerie der Künste“, Berlin)